Monatsarchiv: Mai 2009

Tagesspiegel 11. Mai 2009

Gelähmte Autorin

Bloß kein Schoßhund sein
Gehen oder mit den eigenen Händen schreiben kann sie nicht, aber studieren und Texte aufsprechen Jetzt ist das erste Buch der gelähmten Marie Gronwald erschienen: Der schöne Schein des Lächelns. Es gibt Tage, an denen ich auf die Straße gehe und das Gefühl habe, Lächeln wäre ein ebenso beliebter Sport wie Joggen“, sagt Marie Gronwald. Manchmal nervt es sie einfach nur, wenn sie, in ihrem Rollstuhl sitzend, von ihren Mitmenschen, meist aus Verlegenheit, reflexartig angelächelt wird. Das kennt sie schon lange, schon seit 26 Jahren. Damals kam sie mit spastischen Lähmungen aller vier Gliedmaßen zur Welt. Bereits als Kind begann sie aufzuschreiben, wie andere Menschen auf sie reagieren, auf sie zugehen. Das heißt, selbst schreiben kann sie aufgrund ihrer körperlichen Einschränkung ja nicht. „Ich nahm die Texte auf einen Kassettenrecorder auf. Da musste immer einer alles abhören und aufs Papier bringen“, sagt sie. Mittlerweile hat sie sogar ihr erstes Buch veröffentlich: „Der schöne Schein des Lächelns“ (Westkreuz-Verlag, Berlin).

Von Dirk König – 11. Mai 2009

Der vollständiger Artikel ist nachzulesen unter:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/Behinderung-Lesung-Schoeneberg;art270,2794557

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Rezension Stadtteilzeitung Berlin Schöneberg

Der schöne Schein des Lächelns
Wie sehr ist man versucht, ein künstlerisches Werk nach dem Wesen seines Schöpfers zu beurteilen! Doch schon Goethe war der Auffassung, Kunst müsse sich selbst erklären, und wer wollte ihm widersprechen. Das Buch, das nun rezensiert werden soll, muss also ganz allein bestehen. Da liegt es also und erinnert in Format und Farbgebung ein wenig an ein Kinderbuch: quadratisch und biegsam. Erzählungen werden versprochen. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis: Die Texte sind relativ kurz. Trotzdem keine klassischen Kurzgeschichten? Nein, und schon die erste Seite klärt mich auf: Marie Gronwald erzählt aus ihrem Leben. Das kann nur jemand, der auch was zu erzählen hat, der schon einen ordentlichen Schluck aus dem Kelch des Lebens genommen hat. Wird es mich denn fesseln?
Ein Blick auf die Vita: Die Autorin wird gerade mal 27 Jahre alt. Was soll da denn schon zusammengekommen sein? Da ist wohl nicht das Was entscheidend, sondern das Wie. Jeder hat schon erstaunliche Erlebnisse gehabt und kopfschüttelnd davon erzählt, vielleicht mit der Bemerkung: Das sollte man wirklich mal aufschreiben. Aber seine Erlebnisse auch so darzustellen, dass man sich hineingezogen fühlt in die Situation, aus den Augen des Autors, der Autorin blickt, Gänsehaut bekommt, aufsteigende Tränen herunterschluckt oder sich mitfreut, das ist bei weitem nicht jedem gegeben. Amerikanische Autoren der besagten klassischen Short Stories gaben ihren jüngeren Kollegen häufig den Rat, auf all das schmückende Beiwerk zu verzichten, all die glitzernden Adjektive und Adverbien, die den Blick auf das Wesentliche im Grunde nur trüben. So arbeitet auch Marie Gronwald. Es gäbe sicher viel, sehr viel, womit sie ihre kargen Sätze noch auffüllen könnte, aber was sie schreibt, ist genug, übergenug, um an ihrer Seite durch die Stadt zu fahren. Ja, zu fahren.
Noch ein Blick auf das Cover: Da sitzt ein junges Mädchen inmitten von Spruchbändern, die sie einzuwickeln drohen, und hält sie vorsichtig auf Distanz. Und sie sitzt auf dem Piktogramm für Behinderung: auf dem weißen Rollstuhl auf blauem Grund. Diese Kombination ist umwerfend gewählt von der Friedenauer Illustratorin Sulu Trüstedt, kongenial in der Tat mit den Erzählungen von Marie Gronwald. Was hat ein Piktogramm schon mit dem Menschen zu tun? Was hat die Körperbehinderung mit Marie Gronwald zu tun? Ja, sie hat eine starke spastische Lähmung des ganzen Körpers, weshalb sie ihr Leben lang auf die Unterstützung durch Assistenten angewiesen war und sein wird. Und? Hindert sie das am Denken? Am Fühlen? Am Erleben? Am Artikulieren oder am Studium? Nein. Also erzählt sie zum Beispiel aus dem Urlaub, wo ein wildfremdes Ehepaar versuchte, sie gesundzubeten, so intensiv, dass es der damals Achtjährigen angst und bange wurde. Doch ansonsten: Es war merkwürdig und spannend für mich in diesem fremden Land, denn ich war es als Achtjährige noch nicht gewöhnt, so angestarrt zu werden. Man liest und fiebert mit ihr mit – wie wird es ihr als der Neuen in der Klasse gehen? Wird das Wetter bei der Klassenfahrt endlich besser? Und dann die Liebe, ach!, die Liebe… Oder auch: Sticht die Mücke, oder sticht sie nicht? Und gelegentlich ärgert man sich über die Tumbheit, die Respektlosigkeit mancher Menschen, denen Marie Gronwald begegnet – bevor man sich wieder irgendwie ertappt fühlt, verflixt. Was tut sie eigentlich, wenn sie sich ärgert? Sie atmet. Tief atmen, und immer weiter atmen. Leben eben.
Eigentlich kommen diese Erzählungen ganz gut allein zurecht. Aber fraglos bekommen sie durch die Illustrationen von Sulu Trüstedt eine weitere Dimension, die den einen oder anderen unausgesprochenen Aspekt in heitere Bilder fasst, welche aber ihrerseits ebenso hintergründig sind wie die Texte selbst: Auch sie sprechen für sich, nicht nur für Marie Gronwald. Goethe wäre sehr zufrieden.
Am 9. Mai zum „Tag der Menschen mit Behinderung“ ist das Buch von Marie Gronwald auf dem Breslauer Platz am Stand des Westkreuz-Verlags zu erwerben –  verbunden mit einer Signierstunde der Autorin von 11-13 Uhr.

Sanna von Zedlitz – Mai 2009

Der Artikel ist erscheinen in der Stadtteilzeitung Berlin Schöneberg

http://stadtteilzeitung-schoeneberg.de/index-archiv.htm

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Fernsehbericht

12. Mai 2009 um 18:30 Uhr – Wiederholung am 13. Mai 2009 um 9.35 Uhr im RBB – Fernsehbericht im RBB in der Sendung ZiBB, Bericht zu persönlicher Assistenz

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